100 Jahre Hamburger VHS

SCHULZ: Ich glaube, dass die VHS an einer Schwelle steht. Die Gesellschaft ändert sich sehr schnell und damit auch die Anforderungen an die Menschen. Wir müssen stärker und schneller als früher Antworten finden, was wir über die formalisierten Bildungsabschlüsse hinaus an Bildungsangeboten brauchen, um die Menschen in die Lage zu versetzen, mit dieser enormen Veränderungsgeschwindigkeit und den sehr widersprüchlichen Anforderungen lebensbeglei- tend klarzukommen. Die VHS muss schauen, was die Menschen brauchen, um in der digita- lisierten Lebenswelt zurechtzukommen. Dabei wird es Menschen geben, die möchten gerne von zuhause aus lernen, in Webinaren beispielsweise. Die Erwerbsbiografien der Menschen haben sich flexibilisiert. Daher muss das Angebot inhaltlich wie zeitlich noch breiter und flexibler werden. Wir werden gesellschaftliche Veränderun- gen haben, die wir sehr eng begleiten müssen. Die Frage ist, mit wem machen wir das? DAS SPANNUNGS- VERHÄLTNIS ZWISCHEN DEN INTERESSEN DER TEILNEHMENDEN UND DEN GESELL- SCHAFTLICHEN ERFORDER- NISSEN WIRD AUSTARIERT. RAINER SCHULZ FOTOS | MARKUS SCHOLZ schaftlichen Veränderungen anpasst. VHS ist für die Menschen etwas Positives, ein Bildungsan- gebot für breite Bevölkerungsschichten – direkt vor der Haustür. SCHNOOR: Der Gründungsakt ist in der Tat aus- gesprochen besonders: Hamburg ist die einzige Stadt, inder in einemGesetz dieUniversität unddie Volkshochschule gegründet wurden. Es gab einen Riesenbedarf an Bildung. Man hat große Hoff- nungen in die VHS gesetzt. Mit der Schaffung des Zugangs zu Bildung wollte man für alle die neue Republik festigen: Demokratie braucht Bildung! SCHULZ: Ich finde, dass es die Volkshochschule wirklich sehr gut hinbekommt, das Spannungs- verhältnis zwischen den Interessen der Teilneh- menden und den gesellschaftlichen Erfordernis- sen auszutarieren. SCHNOOR: Seit ihrer Gründung ist die VHS offen für alle. Zu uns kommen Arm und Reich, Alt und Jung, Männer und Frauen, Migrant und Nicht-Migrantin. In aller Regel gelingt in unseren Kursangeboten schon dadurch ein Stück soziale Integration. Wo sonst begeben sich Menschen freiwillig in die Situation, dass sie auf unbekannte, unter Umständen völlig anders denkende und lernende Menschen treffen? Was schätzen Sie heute an der VHS ganz besonders? SCHULZ: Eine VHS muss anders ticken als eine Schule. Ich schätze an der VHS sehr, dass sie auf der einen Seite lebendig ist, auf der anderen Seite aber ihr operatives Geschäft auch sehr professio- nell wahrnimmt. Und das ist ein Verdienst der Mitarbeitenden, aber auch der Geschäftsführung. SCHNOOR: Ich finde, dass es uns ziemlich gut ge- lingt, eine Mischung aus innovativ und gleichzei- tig bewährt mit hoher Qualität hinzubekommen. Die VHS ist verlässlich in ihrer Beständigkeit und ein Seismograph für die Seriosität neuer Entwicklungen. Was wünschen Sie sich für die Hamburger Volkshochschule in den nächsten zehn Jahren? Wie soll es weitergehen? SCHNOOR: Ich wünsche mir, dass die Volkshoch- schule aus der verbreiteten und völlig unange- brachten Banalisierung herauskommt und dass die Relevanz gerade auch von allgemeiner und politischer Weiterbildung für jede und jeden Einzelnen angemessen bewertet wird. 29 | IM GESPRÄCH |

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