100 Jahre Hamburger VHS
gestartet werden. Die Institutionen sind wahn- sinnig träge. Im schulischen Bereich braucht eine Reformidee rund 30 Jahre, bis sie umgesetzt wird. Auf der lokalen oder kommunalen Ebene muss klar gesagt werden: Wir brauchen neue Bildungskonzepte, denn die, die wir haben, passen nicht mehr zu unserer Klientel. Gerade in sozialen Brennpunkten müssen wir einiges tun, damit wieder einen Bildungsnähe geschaffen werden kann. Ein weiteres wichtiges Thema bei der Bildung der Zukunft ist die zunehmende Digitalisierung. Welche Auswirkungen wird diese auf unser Lernen haben? Digitale Bildungsangebote sind sicherlich eine starke Konkurrenz zu den formellen Bildungs- einrichtungen. Besonders in den USA ist die Ent- wicklung dazu bereits sehr fortgeschritten. Ein kurzer Blick in die Zukunft: Man hat eine soge- nannte Eyewear, keine Brille, sondern eine Linse im Auge, die alles mitscannt, was man lernt, hört, sieht, macht. Eyewear kann man nicht betrügen. Die weiß, wann man zu müde ist, wann man eine Lernmotivation hat, wo die Aufmerksamkeit ist oder nicht, ob man abschweift, das weiß die alles und kann bei optimalen Voraussetzungen animieren, sich mit anderen Personen virtuell zusammenzufinden, um gemeinsam an einer Sache zu arbeiten. Benötigen wir überhaupt noch reale Menschen zum Unterrichten? Ja, denn zurzeit lernen wir noch viel epistemi- sches Wissen, Schulbuchwissen. Dieses wird in der Zukunft weitgehend digital und individua- lisiert passieren können. Dann ist natürlich die Frage, was bleibt? Das ist das Lernen in Projek- ten, von Problemlösungen, von Problemantizipa- tion. Alles, was die Maschine selbst nicht kann, weil sie nur mit Algorithmen arbeitet, wird in der Hand der realen Menschen verbleiben. DIE VOLKSHOCHSCHULE IST EINE INSTITUTION DER BEGEGNUNG MIT ANDEREN. Also das so genannte didaktische Flipped-Classroom-Konzept* in einer digitaler Variante? Im Grunde ja, aber deutlich modifiziert, stärker individualisiert und an verschiedenen Lernbio- grafien ausgerichtet, in unterschiedlichen Lernver- bünden – an analogen wie digitalen Orten. Den- noch: Die Digitalisierung wird das Analoge nicht ausschließen. Es gibt schon lange Untersuchungen, die belegen, dass Menschen, die viel im Internet unterwegs sind, auch viel im Analogen machen. Abschließend zusammengefasst – was werden wir in 20 Jahren können müssen und wissen wollen? Und was bedeutet das für das Programm der Volkshochschule? Ich kann Ihnen natürlich kein exploratives Szenario entwickeln: Um genauere Aussagen zu treffen, müsste man das wissenschaftlich unter- suchen. Aber wenn ich danach gehe, was ich mir wünsche und mir vorstelle, sähe es so aus: Die Volkshochschulen werden Teil eines komplexen Bildungsverbundes sein. Nicht mehr von den Institutionen, sondern von den Individuen her denkend mit einer ganz deutlichen Vernetzung vom Kindes- und Jugendalter bis ins hohe Alter hinein. Sie bieten Bildung gemeinsam mit vielen anderen Akteuren an. Es muss offenere Lernfor- mate geben und die Volkshochschulen beraten die Menschen individuell und erstellen auf dieser Basis einen passenden Lernpfad. Zudem hat sie zu den Digitalisierungsprozessen Anschluss ge- sucht und gefunden. Das wird ein sehr steiniger Weg, denke ich. Was die Inhalte betrifft, wird es sicherlich viele Innovationen und auch Verwer- fungen geben. Im sprachlichen Bereich könnte durch die Digitalisierung viel verloren gehen. Die Sparte Gesundheit wird jedoch wichtig bleiben, weil ihre Gesundheit den Menschen wichtig ist. Aber vor allem ist die Volks- hochschule eine Institution der Begegnung mit anderen. Inhalte verlieren dort nicht ihre Rele- vanz, doch das soziale Miteinander hat ebenfalls einen sehr hohen Stellenwert. Das sollte auch klar artikuliert werden etwa nach dem Motto „Finden Sie Freunde, die sich auch für dieses Thema interessieren.“ *Anm.: Die Lernenden eignen sich die Lerninhalte selbst an und die gemeinsame Zeit wird für Praxis und Anwendung genutzt. 65 100 JAHRE HAMBURGER VOLKSHOCHSCHULE | | INTERVIEW
RkJQdWJsaXNoZXIy OTI1MjU=