100 Jahre Hamburger VHS
Da fällt mir im Erwachsenenbildungsbe- reich als einzige Institution die VHS ein, unsere kommunale Weiterbildungseinrichtung. Wer sonst? SCHNOOR: Ich sehe auch einen Bedarf, die „Volkshochschule als SCHULE für Erwachse- ne“ auszubauen. Denn wir haben immer mehr Menschen, die aus anderen Ländern kommen und bisher nur über wenig Allgemeinbildung verfügen. Mit Sprachförderung allein ist es nicht getan. Ich wünsche mir, dass dieser Teil systema- tisch ausgebaut wird und in Abschlüssen mün- den kann. Ich fände es ausgesprochen sinnvoll, wenn wir unser breites Grundbildungsangebot in Hamburg wieder mit dem zusätzlichen Angebot des Erwerbs von Schulabschlüssen ergänzen könnten. SCHULZ: Neben der Digitalisierung ist der demo- grafische Wandel in Hamburg eine große Her- ausforderung: Wir werden einerseits mehr jünge- re Menschen in Hamburg haben und gleichzeitig werden die Menschen, die in Hamburg leben, immer älter. Auf diese Zielgruppen muss sich die Volkshochschule einstellen. Das dritte große Thema hat viel mit Zuwanderung zu tun, denn der Anteil der Bevölkerung in Hamburg, der migrantische Wurzeln hat, wird immer größer. Diese Menschen müssen nicht nur fit für den Beruf gemacht werden und die Sprache sprechen lernen. Sie haben in der Regel auch keine tieferen Kenntnisse über kulturelle Zusammenhänge in Deutschland. Wo erhalten sie ein Bildungsan- gebot, in dem sie grundlegende Bildungsdefizite ausgleichen können, weil sie in ihrer Heimat vielleicht nur drei, vier Jahre die Grundschule besucht haben? Das ist eine Entwicklungspers- pektive, die wir mit und in der Volkshochschule wieder aufbauen werden. Politische Bildung ist die vierte große Herausforderung. Es ist wichtig, dass die VHS ein interessantes Angebot vorhält für Menschen, die sich mit Entwicklungen in dieser Gesellschaft beschäftigen wollen, die sich vielleicht auch politisch engagieren. Volkshochschule als Ort des demokratischen Diskurses. SCHNOOR: Und wir müssen auch die Menschen erreichen, die laut Bildungsbericht 2018 nicht im vergleichbaren Maß teilhaben. Da steht die VHS vor der gleichen Herausforderung wie Schule und das gesamte System der politischen Beteiligung. Wie erreichen wir die Menschen, die sich beruf- lich und politisch abgehängt fühlen, mit passen- den Angeboten der allgemeinen und politischen Weiterbildung? Das genau ist die Herausforde- rung. Der müssen und wollen wir uns natürlich stellen. Wer sonst, wenn nicht die VHS? SCHULZ: Wie schaffen wir es, diese Bevölke- rungsschichten zu erreichen, die sich abgehängt fühlen, aber Bildungsangebote eigentlich bräuch- ten, den Zugang dazu aber nicht finden? Dafür ist es sicher richtig, dass die VHS ein nieder- schwelliges, regionales Bildungsangebot hat. Als Bildungseinrichtung für Erwachsene muss die Volkshochschule schon anders sein als Schule. Sie muss flexibel sein, muss auf die Bedürfnisse der Menschen anders eingehen, muss sie auch selber sehr stark als aktive Lernende beteiligen. SCHNOOR: Insofern ist es wichtig, dass es in der VHS einen Bereich gibt, wo Menschen nachho- lend Bildungsanteile erwerben und auch einen Abschluss machen können. Ich will die VHS nicht insgesamt umbauen zu einer Schule für HIN ZU INDIVIDUELL KURATIERTEN BILDUNGSKETTEN. MARLENE SCHNOOR IM GESPRÄCH | 30 | 100 JAHRE HAMBURGER VOLKSHOCHSCHULE RAINER SCHULZ Seit Dezember 2016 Staatsrat der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB), 2. Staatsexamen als Dipl.-Handelslehrer mit den fachlichen Schwerpunkten Sportwissenschaft und Blindenpädagogik, seit 1987 in unterschied- lichen Funktionen für die BSB tätig: als Dipl.-Handelslehrer, Schulleiter, Oberschul- rat am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, Geschäftsführer des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung.
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