100 Jahre Hamburger VHS
FOTOS | STAATSARCHIV HAMBURG: ERICH ANDRES; HAMBURGER VHS 19 100 JAHRE HAMBURGER VOLKSHOCHSCHULE | der gleichzeitig für die SPD Abgeordneter der Bürgerschaft war. Er unterrichtete auch selber an der VHS und lernte dabei seine spätere Frau kennen – sie besuchte einen seiner Kurse. Zu den Kursleitern gehörten bekannte Denker wie Ernst Cassirer, Carl von Tyszka, Moritz Liepmann oder Albrecht Mendelssohn-Bartholdy. Die Volkshochschule bot den im Ersten Weltkrieg Entwurzelten eine Chance, verpasste Bildung nachzuholen. Ehemalige Soldaten wie Heinrich Hauser, die das Schießen gelernt, aber nur Not-Schulabschlüsse gemacht hatten, sollten so aufgefangen werden – und die Republik achten lernen. Die Hamburger Volkshochschule sprach viele an, die im untergegangenen Kaiserreich zu wenig Bildung bekommen hatten, vor allem poli- tisch denkende Arbeiterinnen und Arbeiter. Streben nach tieferer politischer Bildung Zu ihnen gehörten auch Hermann und Gertrud Glaser. Abends besuchten beide oft Arbeitsge- meinschaften der Volkshochschule, etwa um Alfred Wegeners Theorie der Kontinentalver- schiebung kennenzulernen. Am Tag danach fragte die älteste Tochter stets den Vater aus, was er Neues erfahren hatte. Was sind Kontinental- platten?, wollte Hannelore Glaser, von allen nur Loki genannt, wissen. Gemeinsam legten Loki und ihr Vater ein Stück Papier auf die Weltkarte im Atlas. Sie zeichneten die Umrisse von Süd- amerika und Afrika ab und schnitten sie aus. Beide fügten sie dann zusammen. Loki fand das beeindruckend. Ihr Vater war Elektriker, die Mutter Schnei- derin. Beiden genügte das spärliche Wissen nicht, das sie auf der Volksschule vermittelt bekommen hatten. Für eine höhere Schule fehlte das Geld. Loki, die später Helmut Schmidt heiraten und sich als Botanikerin einen Namen machen wird, war ihren Eltern stets dankbar, dass sie mit ihrem Wissensdurst zur VHS gegangen sind und ihre Kinder am Gelernten teilhaben ließen. Was die Teilnehmenden sich vom VHS-Be- such versprachen, das wollte Dr. Kurt Adams herausfinden. Er leitete seit Oktober 1929 die Volkshochschule, sein Vorgänger Roß war zuvor ARBEITSGEMEINSCHAFTEN THEMATISIERTEN DIE ROLLE DER FRAU IN DER GESELLSCHAFT UND IN DER WIRTSCHAFT. AUCH MÄNNER KONNTEN DIESE KURSE BESUCHEN. DR. ROBERT GOLDENRING (* 25.4.1889 ) Die Volkshochschule war erst ein Jahr alt, als der Studienrat Dr. Robert Golden- ring erstmals als Dozent einen Kurs anbot. Im Winterhalbjahr 1919/20 stand die Arbeitsgemeinschaft „Einführung in die Meteorologie. Wetterbeobachtung und Wettervorhersage“ im Programm. In den folgenden Semestern unterrichte er ähn- liche Themen. Im Sommerhalbjahr 1922 wandte er sich für die VHS der Mathematik zu. Sein Aufbaukurs „Einführung in die höhere Mathematik“ für die VHS erstreckte sich über vier Semester. Wer daran teilnehmen wollte, musste elementare Vorkenntnisse in Geometrie und Algebra mit- bringen. Auch im Sommerhalbjahr 1933 wollte er den Kurs anbieten – doch bevor es dazu kam, strichen die National- sozialisten das Angebot zusammen. Wegen seiner „jüdi- schen Abstammung“ wurde Goldenring nicht mehr an der Volkshochschule beschäftigt. 1937 wurde er aus dem Hamburger Schuldienst in den Ruhestand versetzt. Goldenring legte Widerspruch ein, betonte die Loyalität seiner Vorfahren zu Deutschland. Sie hatten als Soldaten in verschiedenen Kriegen gekämpft. Nach seiner Entlassung arbeitete er von 1939 bis 1943 als Physiker im Wernerwerk Funk in Berlin und dann bis 1945 in der Filiale in Wien. Nach Kriegs- ende kehrte Goldenring imWintersemester 1945/46 an die Volkshochschule zurück und bot erneut seinen Mathematik-Aufbaukurs und spätere andere Kurse an. in den Senat gewählt worden. Adams befragte die Teilnehmenden, 1.251 nahmen an der Umfrage teil. Sein Fazit: Die Teilnehmenden strebten vor allem nach einer „tieferen politischen Bildung“ und einer „Stärkung des Verantwortungsgefühls für den Staat und die Allgemeinheit“. Wie Roß war auch Adams Sozialdemokrat und Abgeordneter. Seine Wahl wurde von Kon- servativen kritisiert. Schließlich sei die VHS kei- ne Parteiinstitution. Aber der 40-jährige Adams, von Beruf Lehrer, galt als Experte der Erwachse- nenbildung und bot schon seit langem Kurse an der Volkshochschule an. Auf der Feier zum zehn- jährigen Jubiläum sagte er 1929: „Volksbildung wird immer im wesentlichen Arbeiterbildung sein.“ Darauf gründete er sein Programm. Von Vorlesungen hielt der Pädagoge wenig.
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