100 Jahre Hamburger VHS
BILDUNGSAUFBRUCH 1919 Die am 14. August 1919 verkündete Weimarer Reichsverfassung schrieb Bildung für alle fest. „Auf einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf. Für diesen Aufbau ist die Mannigfaltigkeit der Lebensberufe, für die Auf- nahme eines Kindes in eine bestimmte Schule sind seine Anlage und Neigung, nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis seiner Eltern maßgebend“, hieß es in Artikel 146, Absatz 2. Mit der Novemberrevolution wollten die Arbeiter- und Soldatenräte auch die starre Schulordnung des Kaiserreichs einreißen. Geld und Stand der Familie sollten nicht mehr die Bildungschancen bestimmen. Die erste demo- kratische Verfassung Deutschlands griff diese Ziele auf. Demokratie braucht Bildung, das hatten die Väter und Mütter der Weimarer Republik verstanden. Reformschulen entstanden, öffentliche Bücherhallen, ebenso neue Universitäten wie die Hochschule in Hamburg und viele Volkshochschulen in zahlreichen Städten und auch auf dem Land. Auch die Erwachsenenbildung förderte der Staat ab 1919 gezielt. In der Weimarer Republik erhielten auch die Volks- hochschulen einen Verfassungsrang. Sie mussten vom Staat gefördert werden. 1917 hatte es in Deutschland nur 18 Volkshochschulen gegeben. Mit der Revolution und dem Beginn der Weimarer Republik nahm die Zahl drastisch zu. Im August 1922 gab es bereits 853 Volks- hochschulen. Die meisten von ihnen richteten sich ge- zielt an Bevölkerungsgruppen, die bislang nur schwer einen Zugang zur Bildung bekommen hatten: Arbeiter, Tagelöhner, einfache Bauern und auch Erwerbslose. FOTOS | STAATSARCHIV HAMBURG: ALEXANDER JAPP (2), WILLI BEUTLER; HAMBURGER VHS Einblick in die Botanik: Vorlesung an der jungen Hamburger Universität. 17 100 JAHRE HAMBURGER VOLKSHOCHSCHULE | VOLKSHOCHSCHULE UND UNIVERSITÄT NEBENEINANDER STEHEND, MIT DEM GEMEINSAMEN ZIEL, „ALLEN GLIEDERN DES VOLKES“ EINE CHANCE AUF BILDUNG ZU BIETEN. die SPD. Die Partei setzt sich im neuen Parlament gleich dafür ein, eine Volkshochschule einzurichten. Diese soll die Volksbildung ver- bessern und so der jungen Demokratie dienen: Aufgeklärte, mündige, gebildete Bürger werden die Republik mehr lieben als den Obrigkeitsstaat, so lautet die Idee. Am 28. März 1919, einem Freitag, ist es dann soweit. Die Bürgerschaft tagt zum dritten Mal. Die Abgeordneten verabschieden Geset- ze, mit denen sie die Volkshochschule und die Universität gründen. Breite Zustimmung erhält die VHS nicht nur bei den Sozialdemokraten, sondern auch von den Liberalen und Konserva- tiven. Der SPD-Politiker Emil Krause beschreibt die Volkshochschule und die Universität als nebeneinander stehend, mit dem gemeinsamen Ziel, „allen Gliedern des Volkes“ eine Chance auf Bildung zu bieten. Im Mai 1919 beantragt er 10.000 Reichsmark, damit die VHS im Som- mer mit Vorlesungen, Exkursionen und Kursen beginnen kann. In seinem Antrag schreibt er: „Der Krieg hat nicht nur physisch, sondern auch geistig unser Volk ausgehungert. Durch alle materielle Not, durch den Streit der politischen Meinungen hindurch dringt vernehmlich ein Klang der Sehnsucht nach reiner Erkenntnis und wissenschaftlicher Vertiefung der Welt- und Lebensanschauung.“ Die Bürgerschaft gibt die Summe frei. Für alle zugänglich So nimmt vor 100 Jahren die VHS in Hamburg ihre Arbeit auf. Sie ist eine von gut 500 Volks- hochschulen, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entstehen. In 100 Jahren ändert die VHS immer wieder ihre Methoden, Ziele und Strukturen. Aber auch heute ist die Forderung von 1919 noch aktuell: „Bildung für alle“. Die Volkshochschule sollte für alle zugäng- lich sein, mit vielen Kursen das breite Interesse der Hörerinnen und Hörer abdecken und – so wünschten es sich die Gründer – zur Demokrati- sierung der Bevölkerung beitragen. Für Hamburg war das ein revolutionärer Schritt. In der alten Hansestadt hatte es bislang noch nicht
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